In diesem Tagebuch schreibe ich Alltägliches auf. Dazu gehören berufliche Erfahrungen genauso wie ganz Privates.

Ich folge meinen täglichen Gedanken und gestatte mir Unsystematisches, Freches, Nachdenkliches oder Kreatives ....

Ich freue mich auf eine Mail von Ihnen --- wenn Sie Lust haben, auf mein Tagebuch zu reagieren.

ingrid.roebbelen@t-online.de

 

Ingrid Röbbelens Tagebuch

Freitag, d. 10. Januar 2014

Schreck - - -

23. 00 Uhr:  Die Stadtteilschule Alter Teichweg war stundenlang isoliert. Überall Polizei. Eltern, die gegenüber dem Schulgebäude still oder aufgeregt miteinander sprechend darauf warteten, dass alle das Schulgelände verlassen konnten. Es gab eine Amok-Warnung. Zum Glück war es blinder Alarm! Aber die Ängste, das Gefühl von Bedrohtheit waren Wirklichkeit. Wir hatten uns zu einem Schreibworkshop mit Schülerinnen und Schüler der Oberstufe verabredet. Da kam D. zu uns und sagte: Ich bin zu durcheinander, ich will jetzt nur nach Hause. Da war L., die schnell zu ihren Eltern fuhr. Anfassbar war der Wunsch nach Vertrautheit und Geborgenheit. Ich blicke jetzt auf diese Erfahrung zurück, die ich ja nur von der Perpherie her erlebt habe, und fühle in mir eine stille Taubheit. Verkleidetes Entsetzen?

Am Sonntag treffen wir uns mit den Jugendlichen im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Michael Müller, der Theaterpädagoge und Schriftsteller, wird mit uns unsere eigenen Texte dramaturgisch umsetzen. Dafür nutzen wir die Probebühne des Schauspielhauses. Harald Tondern, der Paten-Autor der jungen Schriftstellerinnen und Schriftsteller, wird mit ihnen schreiben. Ich blicke dem Sonntag mit Ungeduld entgegen, hoffend, dass das Schreiben und Spielen gut tun werden.

 

Sonntag, d. 22. Dezember 2013

Die Hamburger "Schanze"

und

Cappuccino im "Elbgold"

19. 15 Uhr: Wir sind heute - ein wenig ratlos - im Hamburger Schanzenviertel herum gegangen. Gestern explodierte dort Gewalt, als für den Erhalt der Roten Flora demonstriert wurde. Wir dachten zurück an die Diskussionen Ende der 60er Jahre, als es um die Frage ging, ob Gewalt gegen Sachen legitim sei, und weiter, ob Gewalt gegen Menschen geboten sei, um eine humanere und aufgeklärte Gesellschaft zu schaffen oder sie gar zu erzwingen. Ernsthaft haben wir nächtelang darüber debattiert. Ich selbst entschied mich immer und immer wieder für gewaltfreie Aktionen. Ich bekenne, ich war (und bin) "Pazifistin" ... Wie sahen die Entscheidungsprozesse vor dieser Gewaltexplosion  im Schanzenviertel aus? Bei den Demonstranten und bei den "Polizisten"? Ratlos schauten wir uns heute um.

Dann gingen wir ins "Elbgold". Das ist eine Kaffee-Rösterei, die hinter Mälzers "Bullerei" in der "Schanze" liegt. Roger Cicero bediente heute, schenkte Cappuccini und Espressi aus. Der Erlös geht als Spende an eine Schule in Äthopien. Roger Cicero stand uneitel, heiter hinter der Theke. Annika und Thomas, die Besitzer des "Elbgold", und alle, die bedienten, waren zugewandt und freundlich. Der Cappuccino schmeckte köstlich (eigentlich himmlisch!!!). Danke, Annika und Thomas (die Beiden sind unsere Nachbarn in Eppendorf; sie arbeiten und arbeiten ...! Am frühen Morgen verlassen sie die Wohnung, Am späten Abend kehren sie zurück. Sie haben eine Vision gehabt und haben einen Traum wahr gemacht: eben diese fantastische Kaffee-Rösterei!).

 

Samstag, d. 21. Dezember 2013

Erinnerungen an 2013:

Hamburg - Berlin - Nordfriesland

22. 40. Uhr: Ich habe meinen "Jahresrückblick 2013" geschrieben. Erinnerungen, Erinnerungen. Ganz assoziativ aneinandergereiht. Heraus kommt mein erstes Liebeslied auf Hamburg. Über 40 Jahre hat es gedauert, ehe ich wirklich und gern weiß, dass ich hier mit Harald Tondern zu Hause bin und dass ich unser Leben in Eppendorf wirklich liebe.

Berlin ist die Stadt meiner Famlie. Ich höre den Klang der Sprache gern, ich genieße das Tempo, das Unfertige, das Freche, das Kreative und all die Erinnerungen. In diesem Jahr gibt es auch Erinnerungen an das Zusammensein mit Heidi in der Hasenheide (dort haben meine Eltern ihre erste gemeinsame Wohnung gehabt), auf dem Tempelhofer Feld (in den Zaubergärten) oder in Kreuzberg. Mit Heidi verbinden uns wunderbare Erinnerungen an Indien, an Madras, wo wir Wochen zusammen gelebt haben. Sie hatte uns in das dortige Goethe-Institut (Max-Mueller-Bhavan) eingeladen. Nun ist aus der Zusammenarbeit eine liebevolle Freundschaft geworden. Mit Heidi zusammen in einer Stadt (wo auch immer!) zu sein, heißt für mich auch, mit "Tütchen" nach Hause zu kommen.

Meine Liebe zu Berlin ist immens und konkurrenzlos.

Aber da gibt es einen dritten Herzensort: unser Reetdachhaus in Nordfriesland. Die Landschaft ist karg, ist rau, lebt von den Horizonten. Ich liebe diesen Himmel, die Stille, die reduzierten Landschaftslinien, die Erinnerungen an all die Freunde, mit denen wir Tage und Nächte dort gelebt und gefeiert haben. Knut Kiesewetter musizierte, Fiede Kay hat unsere Küche gekachelt, Tony Sheridan stand plötzlich vor der Tür. Es war eine bacchantische Zeit. "Kinderzeit". Sehnsuchtszeit.

 

Donnerstag, d. 12. Dezember 2013

Schreibworkshop II mit Jugendlichen

"Ohne meine Identität - wo soll ich denn hin?"

20. 15 Uhr: Im Schreibworkshop gestern sind witzige Texte über barock inspirierte Partys entstanden. Telemanns "Ebbe und Flut" hat zu diesen Phantasien inspiriert.

Lebenslust pur! Schreibfreude pur.

Bei einem Text, der im November an einem Schreibwochenende entstanden ist, wusste ich nicht, wer ihn geschrieben hatte. Ich las die fünf Sätze, die frei assozierend entwickelt wurden, vor. Überschrift: "Was soll ich denn hier?" Dann: "Als Basis brauche ich meine Kultur. Die macht mich stark und stabil." Einige der Jugendlichen im Workshop waren sicher: "Den Text hat Jeffrey geschrieben. Klar!" Jeffrey konnte diesesmal nicht dabei sein. Er musste eine Prüfung machen. Ich las einfach weiter vor, weil ich finde, dass diese fünf Sätze ein Motto für unseren Schreibworkshop sein könnten.: "Ohne meine Identität - wo soll ich denn hin? Ich wäre ja nur ein verlorenes Kind ohne jegliche Orientierung. Deswegen bin ich, wie ich bin. Mein Leben, mein Weg, meine Entscheidung."  Da fuhr Alpha hoch und sagte sehr bestimmt und deutlich: "DAS BIN ICH!!!"

Diese Stunden mit den Jugendlichen waren Glück pur!

 

Mittwoch, d. 11. Dezember 2013

Schreibworkshop I mit Jugendlichen

"Kultur macht stark!"

11. 50 Uhr: Heute Nachmittag gehen Harald Tondern und ich in die Stadtteilschule Alter Teichweg. Wir schreiben mit Jugendlichen, die freiwillig ein ganzes Jahr  zu  Workshops mit ihrem Paten-Autor kommen. "Kultur macht stark"  heißt das Projekt, das das Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert. Alpha kommt, Lisa ist dabei, auch Anna-Lena oder Marivi. Jeffrey freut sich darauf. Felim ist zum Beispiel auch dabei. Bisher sind schon tolle Texte entstanden: über die Wiese, auf der glückliche Freundschaftsfeste gefeiert werden, oder über den Krieg in Afrika, den Krieg überall.

Heute schreiben wir zu Musik. Telemann: Ebbe und Flut. Lieber wäre mir Schubert. Am letzten Montag war ich in einem Barenboim-Konzert in der Hamburger Laeiszhalle. Er hat Klaviersonaten von Schubert gespielt. Uneitel, virtuos, der Musik hingegeben, freundlich dem Publikum gegenüber.  Ich bin süchtig geworden, muss nach Berlin, um Barenboim dort wieder zu begegnen. Nachher  im Schreibworkshop aber: Telemann. Vielleicht entstehen auch Texte zum Orkan "Xaver". Mal sehen. Mal gucken. Mal hören.

 

Mittwoch, d. 8. Februar 2012

Schreiben als Chance - Schreibwerkstätten evaluiert

Klirrendkalt ist es. Selbst am Gardasee nähern sich die Temperaturen minus 30 Grad Celsius. Die Außenalster in Hamburg ist zugefroren.

Ich kann das alles genießen, denn die Evaluation der zwölf Schreibworkshops mit Autoren in acht Bundesländern, in der Regel in Brennpunktschulen, liegt neben mir: gedruckt. Finanziert hat das Projekt das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Organisiert hat es der Friedrich-Bödecker-Kreis e.V..

Nun möchte ich Geld und auch Macht haben, damit in jeder 9. oder 10. Schulklasse solch eine Kulturwoche zum festen Ritual wird. Schreibend erfahren die Jugendlichen ihre Fähigkeiten, gewinnen Selbstvertrauen und üben sich in Empathie. Konzentriert und ausdauernd nähern sich die jungen Autoren ihrer eigenen Sprache, ihren inneren Bildern und ihrem Können. Die Künstler folgen den Jugendlichen und nutzen ihre kreativen und intellektuellen Fähigkeiten. So entstehen Texte, die manchmal sogar literarische Qualitäten gewinnen. Ich will losgehen, um dieses Schreibprojekt zu verbreiten. Meine Evaluation zeigt, wie notwendig, wie sinnvoll das ist, und zwar individuell und gesellschaftlich! Pathos? Ja, vielleicht. Aber ein Pathos, das sich auf Fakten gründet.

In einer 10. Klasse in der Kurt-Tucholsky-Stadtteilchule in Hamburg-Altona entstand eine Broschüre mit den Texten der Jugendlichen. Harald Tondern hat den Schreibworkshop geleitet, Renate Schimmel hat ihn dabei begleitet. Michael Müller, Theaterpädagoge vom Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, hat eine Szenische Lesung mit den Schülerinnen und Schülern inszeniert und schulöffentlich in der Aula der Schule aufgeführt. Ein gutes Projekt war das. Eine gute Teamarbeit hat es möglich gemacht.

Die Broschüre findet man auf dieser website unter "Didaktisches Material" ("Mir fällt NIX ein ..."). Auch die Evaluation habe ich  als pdf-Dokument auf diese website gestellt, ebenfalls unter "Didaktisches Material"..

Montag, d. 26. September 2011

SCHLUSZSTÜCK

Der Tod ist groß,

Wir sind die Seinen

lachenden Munds.

Wenn wir uns mitten im Leben meinen,

wagt er zu weinen

mitten in uns.

(Rainer Maria Rilke im 'Buch der Bilder', zweiter Teil)

Sigi Kaun ist nun ihrem Tod begegnet. Sie geht ihren einsamen Weg. Unsere Gedanken begleiten sie.

In unseren Erinnerungen ist sie lebendig. Wir hören ihre Stimme, ihr Lachen, ihre respektlos-frechen Kommentare. Wir sehen ihr kluges Gesicht, die suchenden Augen. Wir erleben noch einmal ihre Warmherzigkeit und Anteilnahme, wenn uns Kummer nieder drückte.  Wir sitzen noch einmal mit ihr nachts in der  kleinen Kneipe des Klosters Himmerod und plaudern, hören einander zu und grübeln. Ihre witzigen Texte erstaunen uns; du staunst selbst über das, was du geschrieben hast. Dein scharfer Verstand erkannte Lügen und Unschärfen.

Du fehlst uns so, du fehlst uns.

 

Montag, d. 6. September 2010

"Warum schreiben wir?"

Jetzt also bin ich in Gedanken bei Schreibworkshops. Im Schuljahr 2010 / 2011 werde ich in acht Bundesländern Schreibworkshops in Brennpunktschulen wissenschaftlich begleiten. Finanziert wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, organisiert vom Friedrich-Bödecker-Kreis e.V.  Ich kann frei arbeiten, Erkenntnisse gewinnen und interessiere mich dabei überhaupt nicht für Kontrollen. Die Trias von "Kommunikation, Kooperation und Kreativität" leitet mich.

Im Oktober erwartet uns das "Schreiben - im Kloster" in der Zisterzienser-Abtei Himmerod in der Eifel. Vielleicht wird das Thema sein: "Unterwegs". Unterwegs im eigenen Leben, im eigenen Versagen, in der eigenen Hoffnung. Unterwegs in der täglichen Freiheit, in den Träumen und Möglichkeiten.

Joyce Carol Oates schreibt 2003 in der Einleitung zu ihrem Essay-Band "Beim Schreiben allein. Handwerk und Kunst":  "Schreiben ist die einsamste aller Künste. Allein sich aus der Welt zurückzuziehen, um eine - "fiktive", "metaphorische" - Gegenwelt zu erschaffen, ist so seltsam, dass es sich dem Verständnis entzieht. Warum schreiben wir? Warum lesen wir?"

Es stimmt, lesen und schreiben gehören zusammen. Sie erweitern mein Leben um viele Leben. Joyce Carol Oates rät: "Lies viel, lies begeistert, lass dich von deinem Instinkt und nicht von einer Norm leiten. Denn wenn du liest, musst du nicht Schriftsteller werden. Aber wenn du hoffst, ein Schrifsteller zu werden, dann musst du lesen." (J.C. Oates: Als Schriftsteller lesen: Der Künstler als Handwerker., ebd. S. 114).

Lesen, schreiben, Musik hören, natürlich mit dem Rad fahren, die Eppendorfer Landstraße entlang gehen, im "Tiefenthal" unter den Platanen essen und plaudern, urban leben und immer wieder den Rückzug suchen: am Meer, im alten Bauernhaus, die Kräuter riechen, Mirabellen pflücken und über das Watt schauen, staunen. So kann es sein.

 

Sonntag, d. 7. Februar 2010

"Nicht Kinder bloß, speist man mit Märchen ab -"

Oder: Das Pathos der Aufklärung

Die Hamburger Politiker behandeln ihre Bürger schlecht. Die Bürgersteige werden täglich glatter. Straßen zu überqueren ist ein Rutschabenteuer. Morgen tagt ein Ausschuss, um zu beraten, was zu tun sei. Salz kommt in der übernächsten Woche wieder in Hamburg an. Unbegreiflich, ärgerlich, in hohem Maße ärgerlich ...

Aber am vergangenen Donnerstag bin ich ins Thalia-Theater geschliddert. Im Rahmen der Lessing-Wochen gab es "Nathan der Weise", das Drama, das 1779 im Erstdruck erschien.  Dieses vertraute Stück hat mich völlig fasziniert und bewegt mich noch immer. Mitten in eigenem Leid (sein Sohn war gestorben, seine Frau starb dem kleinen Sohn hinterher, in Wolfenbüttel behandelte man Lessing schlecht) schrieb Lessing dieses utopische Aufklärungs-Märchen, das humanes Verhalten als Wirklichkeit vorführt. Beim Lesen des Stückes hatte ich den Eindruck, dass dieser 'Nathan'  seit meiner Pubertät meine "Bibel" war. Wieder habe ich ihn aufgesogen und kann mich noch immer nicht lösen. Noch immer ist die Ringparabel  (Dritter Aufzug, Siebenter Auftritt im Drama) für mich das Herz einer Aufklärungs-Utopie, meiner eigenen Aufklärungs-Utopie.

Zur Erinnerung:

Saladin fragt Nathan:

"So weise du bist: so sage mir doch einmal -

Was für ein Glaube, was für ein Gesetz

Hat dir am meisten eingeleuchtet?"

Nathan antwortet: "Sultan,

Ich bin ein Jud'."

Und darauf Saladin: "Und ich ein Muselmann.

Der Christ ist zwischen uns - Von diesen drei

Religionen kann doch eine nur

Die wahre sein. - "

Nathan antwortet Saladin mit der Ringparabel und beginnt:

"Vor grauen Jahren lebt ein Mann in Osten,

Der einen Ring von unschätzbarem Wert

Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein

Opal, der hundert schöne Farben spielte,

Und hatte die geheime Kraft, vor Gott

Und Menschen angenehm zu machen, wer

In dieser Zuversicht ihn trug."

Die Erzählung entwickelt sich.

Am Schluss der Ringparabel dann mutmaßt ein Richter:

"Der echte Ring

Vermutlich ging verloren."

Der Richter rät:

"Wohlan!

Es eifre jeder seiner unbestochnen

Von Voruteilen freien Liebe nach!

Es strebe jeder um die Wette,

Die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag

Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut,

Mit herzlicher Verträglichkeit. mit Wohltun,

Mit innigster Ergebenheit in Gott

Zu Hilf'!"

Ich weiß natürlich, dass dies ein Märchen ist. 

Aber die Ringparabel ist ein Märchen, das für mich das Hohelied der Menschlichkeit ist.

Bei der Aufführung im Thalia-Theater wurde das Lessing-Stück mit dem Nathan-Kommentar  "Abraumhalde" von Elfriede Jelinek verschnitten.   Sie will  dem "Stück den Hass zurück geben". Diese Jelinek-Fragmente habe ich wie Techno-Musik gehört, habe sie über mich hinweg rauschen lassen, habe die Virtuosität und Kühnheit registriert, blieb aber unberührt davon.

Gelauscht habe ich den Lessing-Versen. Das war das reine Glück. Altmodisch? Vielleicht. Aber mit utopischer Sprengkraft!

 

Samstag, d. 30. Januar 2010

Geschichten, Geschichten

Diese Freude am Lesen, diese Sucht nach dem Lesen sind wohl auch eine Sucht nach Leben. Geschichten inhalieren ist die Sehnsucht nach selbst gelebten Geschichten.  Nicht eineisen, nicht sich eineisen lassen, sondern die Neugier des Kindes hervorholen und dem Neuen mit Neugier folgen, das Neue leben und die eigene Musik spielen. Aber ganz am Anfang steht wohl das Schweigen, steht wohl auch die Stille.

Der Vollmond über der Schneelandschaft.

Auf der Außenalster suchten heute Menschen das Außerordentliche, erfuhren den Perspektivwechsel und spürten Glück. Wir schauten auf die zugefrorene Alster gleich hier am Haynspark in Hamburg-Eppendorf, sahen die Spuren der Vögel im Schnee, da ist auch ein Mensch gegangen. Auch das sind Geschichten.

Jetzt lese ich von Adalbert Stifter "Der Nachsommer". Diese Sehnsucht nach Ordnung und Sinn - und darunter das Chaos.

Freitag, d. 29. Januar 2010

Was für ein Blick!

Cecilia Bartoli singt Giordano "Cario mio ben". Die Rotbuche vor dem Fenster leuchtet in der Nacht. Auf den Zweigen liegt Schnee. Ich kann die Kälte, das Vereiste nicht mehr ertragen. Ich fühle mich fest gefroren. Dennoch genieße ich die nächtliche Pracht, die ich sehe, aber nicht benennen kann.

Lesen, lesen, das ist die große Freude. Gerade habe ich Pamuk "Schnee" weg gelegt. Bald bin ich in Ankara. Die Deutsche Botschaftsschule wartet auf eine Fortbildung für alle. Das Goethe-Institut  bittet um ein Wochenendseminar zum Thema "Kreatives Schreiben", das auch eine Anregung für den Schreibwettbewerb, den es ausgeschrieben hat, ist. Dabei geht es um Krimis. Harald Tondern erwarten Autoren-Begegnungen mit Jugendlichen. Pamuk rückt Anatolien in weite Ferne. Fremdheit. Diese Fremdheit will ich wahrnehmen, ich will auch Spuren in ihr hinterlassen. Anne L. sagte, es gehe dabei nicht darum, etwas zu leisten, sondern darum, etwas zu erfahren.

Jetzt aber lebe ich hier in Hamburg, in dieser Nacht. Harald kommt ins Zimmer und sagt: "Was für ein Blick!"  Nie hat die Rotbuche in der Nacht so gestrahlt. Cecilia Bartoli singt. Welch eine Stille.

Donnerstag, d. 23. Juli 2009

Englisch lernen ... gleefully

Oder: Ein Schlaflied für Matthias

Seit eineinhalb Jahren besuche ich jede Woche einen Kurs in "English Conversation" in der kommerziellen "English School". Das gibt es eine Menge zu lernen - und zwar mit Spaß!

Ich schildere einfach einmal einen Einstieg, der in jeder Gruppe zu imitieren ist, natürlich auch in der Schule.

Dabei geht es darum, Namens-Mythen zu entwickeln.

Dazu haben wir unsere Namen aufgeschrieben. Auf meinem Blatt stand: Ingrid Frida Marie Röbbelen. Jeder hat dann auf Englisch seine Namen kommentiert:

Was bedeuten sie? Was verbinde ich damit? Wie kam es zu dem Namen?

Also: "Ingrid" ist mein Rufname. Ich bin während des Krieges, im Jahr 1944, geboren. Nordische Namen waren sozusagen "Pflicht". Dabei war mein Vater gar kein NSDAP-Mitglied. Vielleicht bedeutet mein skandinavischer Name "die Schöne" - so habe ich vor einiger Zeit gehört. Ich fand diesen Namen immer blöd. Er klingt so spitz, so hart.

Deshalb habe ich mich in den 70er-, 80er-Jahren umbenannt: in "Lena". Das klingt für mich anziehend. Glen D. Hardin und Ron Tutt, das sind Musiker aus der Band von Elvis Presley, die für uns 1978 zu Freunden wurden, kennen mich nur unter diesem Namen. Für sie bin ich bis heute "Lena".

"Marie" würde ich mich jetzt gern nennen. Aber unsere Katze hieß Marie. Diese Erinnerung ist nicht zu löschen. Also: Marie als Rufname geht nicht. Obwohl ich durchaus eine Katze "bin".

"Frida" hieß unser erstes Kätzchen, das aber nur wenige Tage lebte.

"Frida" und "Marie" hießen meine Großmütter. Als ich Schülerin auf dem Gymnasium war, haben die anderen über den Namen gelacht, über "Ingrid Frida Marie". Die Sportlehrerin rief mich gern mit allen diesen Namen. Sie amüsierte sich dabei. Da ich eine gute Sportlerin war, verletzte mich dieser  Spott nicht. Aber geärgert hat mich diese Grobheit natürlich.

"Röbbelen" ist der Name meines ersten Mannes. Der Familien-Mythos erzählt, dass die "Röbbelens" ursprünglich schwedisch gewesen seien. Im "Dreißgjährigen Krieg" seien sie in der Nähe von Hildesheim hängen geblieben. Die Schweden wurden damals als "Rebellen" empfunden. Schließlich nannten sie sich selbst so: Aber das klang dann wohl wie "Röbbelen". Inzwischen liebe ich diesen seltenen Namen. Als ich allerdings als Fünfzehnjährige diesen Namen das erste Mal hörte, lachte ich. Das klang für mich völlig verrückt: "Röbbelen"!

Der Name meines zweiten Mannes klingt besser, er klingt für mich wunderbar: "Tondern". Dennoch bin ich eine "Röbbelen" geblieben.

Gestern Abend nun hatte ich die letzte Sitzung in meinem Englisch-Kurs. Die Aufgabe, unsere Namen zu erklären, hat uns Ben gestellt. Wir erfuhren,  dass "Michael" nach dem tödlich verunglückten Sohn von Grzimek Michael genannt wurde, dass "Kay" froh ist, dass sich seine Mutter bei der Namensgebung durchgesetzt hat. Sein Vater hätte ihn "Heinrich" genannt.

Ich bin traurig, dass ich nun eine Pause eingelegt habe bei meinem wöchentlichen Englischlernen.

Was gefällt mir so sehr daran?

Ich lerne dort und werde nicht in meiner beruflichen Rolle wahrgenommen. Ich bin älter als die anderen, ein bisschen die Oma. Manche sind nur halb so alt wie ich. Auch die Lehrenden. Die meisten davon sind "Native Speakers". Sie kommen aus California, England, Schottland oder Irland. Jan kommt aus Dänemark. Ich trainiere mich darin, ihre Akzente zu verstehen und keine große Scheu mehr davor zu haben, mein stockendes Englisch zu sprechen, mein Unvermögen zu zeigen, über Wörter zu stolpern, die am Abend für mich schwer auszusprechen sind: Grauslig ist es für mich, kurz vor dem Schlafengehen "suggestion" sagen zu müssen - oder auch "Massachusetts".

Es ist aufregend und vergnüglich zu lernen - eben "gleefully"!

Aber ich bin auch immer meine eigene Beobachterin, meine eigene kritische Lehrerin, die zuschaut, wie ich lerne und auch das didaktische Können der Lehrenden beurteilt.

Mein schlichter Traum ist es, Englisch fließend zu sprechen, es wie eine selbstverständliche zweite Sprache zu beherrschen, so dass ich überall auf der Welt zu Hause bin - auch überall arbeiten kann.

 

Dienstag, 21. 7. 2009

Schreiben im Kloster

Es ist Sommer - in der Stadt. Hamburg ist ruhig, heiter, die Eisdielen sind voll, an der Alster laufen englisch sprechende Menschen entlang, manche füttern Blesshühner, Matthias sitzt im "Greeni" an der Eppendorfer Landstraße und schreibt.

Ein kleiner Schrecken schoss in der vorletzten Woche über sein Gesicht, als ich ihm sagte, dass wir in diesem Oktober keinen Schreibworkshop im Zisterzienserkloster Himmerod machen. Auch Elke war traurig. Sie wollte mit dem Enkel Carlos dabei sein.

Mir selbst fehlt Himmerod schon jetzt. Aber ich folge dem Rat der Freunde, nach dem 30. September, dem Tag meiner Pensionierung, etwas Neues zu machen, nicht übergangslos mit den Seminaren fortzufahren. Es gilt dann, alte Rollen abzustreifen, neue auszuprobieren, sich neu zu erfinden. (Ich habe ganz schöne Angst davor, aber natürlich würde ich das nie zugeben ...)

Unser Schreiben im Kloster wird also dieses Jahr nicht stattfinden.

Das war die schlechte Nachricht.

Jetzt die gute: 2010 schreiben wir wieder im Kloster.

Schon jetzt denke ich über das nach, was wir machen können. Ganz sicher erwarten uns Heiterkeit, Vertrauen in die eigenen (Sprach)Kräfte, Zutrauen, Stille, Lachen, Albern, gregorianische Gesänge, das Klosterbier, der Obstgarten, die Abteikirche, Schokolade, Texte, die geschrieben werden wollen. Glück? Auch Glück!

Aber - wie Walther Killy oft sagte: "So Gott will und wir leben ....!"

 

 

Sonntag, 19. Juli 2009

"Heute ist der erste Tag, an dem ich mit meiner Seite beginne.

Der Regen prasselt auf das nasse Dach und der graue Himmel

sieht nicht gerade einladend aus, um mich ausgiebig mit meinem

Tagebuch auseinanderzusetzen, aber der Regen soll ja nachmittags

aussetzen, mal sehen.

Immer noch ist Sonntag, d. 19. 7. 2009. Der Regen ist dem durchwachsenen Himmel gewichen."

R.T. hat nun diese Seite im Tagebuch eingerichtet und gleich einen Text hineingeschrieben. So lebt es sich gut: Im heiteren Dialog.